Neben Antje Schiffers waren für den Hauptpreis die folgenden Künstlerinnen und Künstler nominiert: Diana Mercedes Alonso, Laurenz Berges, Susanne Kutter, Gabriela Oberkofler, Nikola Röthemeyer und Tilo Schulz.
Nach zweimaliger Verschiebung aufgrund der Corona-Pandemie fand die Sitzung der Preis-Jury am 19. April in Worpswede statt. Die drei Juroren – Prof. Dr. Stephan Berg (Intendant Kunstmuseum Bonn), Dr. Jule Hillgärtner (Direktorin Kunstverein Braunschweig) und Thomas Thiel (Direktor Museum für Gegenwartskunst Siegen) – zeigten sich von der Kunstpreis-Ausstellung und allen nominierten Positionen sehr angetan. Nach intensiver Diskussion sprachen sie den Preis einhellig Antje Schiffers zu.
Seit über zwanzig Jahren verfolgt Antje Schiffers (*1967, Heiligendorf) mit großer Konsequenz einen künstlerischen Ansatz, in dessen Zentrum die Begegnung und der Austausch mit anderen Menschen stehen. Ihre künstlerische Arbeit handelt vom Unterwegs-Sein und Reisen, von Kontakten und Beziehungen, vom Eintauchen in unterschiedliche Kulturen, in fremde Arbeits- und Lebenswelten, vom Tauschen und Teilen. Aus diesem Ansatz entwickelte sie ab dem Jahr 2000 mehrere Projekte – unter anderem das Langzeitprojekt Ich bin gerne Bauer und möchte es auch gerne bleiben, das im Zentrum ihres Schaffens steht und an dem sie bis heute arbeitet.
Die Künstlerin beschreibt den Ansatz ihrer Projekte so: »Ich habe verschiedene Arbeiten auf der Idee des Tauschgeschäfts aufgebaut: Ich bin durch Italien beziehungsweise Russland, Kasachstan, Kirgistan und Usbekistan gereist und habe Bilder gemalt gegen Kost und Logis […]. Mich hat interessiert, welche Rituale sich mit den Gastgebern entwickeln, die ich in dieses Experiment verwickelt habe, was sie von mir erwartet haben, welche Vorstellungen sie vom Künstler haben, was ich bei ihnen lernen konnte […].
Die Tauschgeschäfte mit den Bäuerinnen und Bauern sind ein Langzeitprojekt, das ich seit 2000 verfolge: Ich biete ihnen an, ihren Hof zu malen im Tausch gegen einen Film, den sie, die Bauern, filmen und kommentieren und in dem sie das von ihrer Arbeit und ihrem Alltag zeigen, was sie zeigen möchten. […]«
Bernd Lütjen, Landrat des Landkreises Osterholz, der den Paula Modersohn-Becker Kunstpreis seit 2010 auslobt, charakterisierte im Rahmen der Preisverleihung die Arbeit der Preisträgerin: »Antje Schiffers nähert sich den Menschen, mit denen sie künstlerisch arbeitet, mit großer Neugierde, mit Offenheit und Interesse. Statt ihren eigenen Blick auf die Welt ins Zentrum zu stellen, lässt sie diese Menschen selbst zu Wort kommen und macht ihre Sichtweisen zu einem Teil ihrer Kunst. Dabei werden auch gesellschaftliche Zusammenhänge, wirtschaftliche Verflechtungen und kulturelle Verwerfungen sichtbar – aber eben nicht abstrakt und intellektuell, sondern immer auf eine zutiefst persönliche und menschliche Weise, voller Wärme, Anteilnahme und Humor. Die Kunst von Antje Schiffers spielt sich also nicht im Atelier und im Museum ab, sondern im lebendigen Miteinander mit den Menschen, die sie einlädt, Teil ihrer Arbeit zu werden.«
2003 gründete Schiffers gemeinsam mit Kathrin Böhm (GB) und Wapke Fennstra (NL) die Künstlerinneninitiative Myvillages, mit der sie seit 2007 unter anderem das Langzeitprojekt des International Village Shop weltweit umsetzt. Auch hier geht es um Partizipation. Myvillages stellt die kulturellen Hierarchien in Frage und nimmt den ländlichen Raum als Ort kultureller Produktion ernst. Gemeinsam mit Dorfgemeinschaften in unterschiedlichen Ländern greift die Initiative regionale Besonderheiten auf, entwickelt daraus eigens erfundene Waren – von der Fufu-Bowl bis zum Kartoffelbeutel – und bringt diese über den International Village Shop in Umlauf.
2007 war Antje Schiffers als Stipendiatin der Künstlerhäuser Worpswede für mehrere Monate zu einem Arbeitsaufenthalt in Worpswede zu Gast.
Die Begründung der Jury zur Hauptpreisträgerin Antje Schiffers:
»Auf klare und gleichzeitig humorvolle Weise formuliert Antje Schiffers den Arbeitsbegriff innerhalb und außerhalb der Kunst neu. In einer globalisierten Welt verankert sie die Strategien von Weltaneignung und Weltbeschreibung auf regionaler und persönlicher Ebene. Ihre zeichnerisch grundierten Installationen setzen die prozesshaften Erzählungen fort, die sie konsequent anstößt, im Dialog mit anderen fortschreibt und im Ausstellungsraum nicht enden lässt. Damit hat sie in den letzten zwanzig Jahren eine markante künstlerische Sprache entwickelt, die zugleich offen und fokussiert auf unsere Welt blickt und dabei die Verbindungen zwischen gesellschaftlicher und künstlerischer Praxis auslotet.«
Zum Paula Modersohn-Becker Kunstpreis
Paula Modersohn-Becker ist die bekannteste Worpsweder Malerin. Der Landkreis Osterholz schreibt seit 2010 den Paula Modersohn-Becker Kunstpreis aus, um dieser außergewöhnlichen Künstlerin am zentralen Ort ihres Lebens und Schaffens ein lebendiges Denkmal zu setzen. Der Preis wird alle zwei Jahre vergeben und in den Kategorien Haupt-, Sonder- und Nachwuchspreis verliehen. Zuletzt gewann 2018 die Performancekünstlerin Nezaket Ekici den Hauptpreis.
Matthias Jäger, Geschäftsführer des Worpsweder Museumsverbundes und Initiator des Paula Modersohn-Becker Kunstpreises, sagt zur Ausrichtung des Preises:
»Paula Modersohn-Becker ist für den nach ihr benannten Kunstpreis weit mehr als nur eine – aufgrund ihrer Verbindung zu Worpswede naheliegende – Namenspatronin. Mit der Unbeirrtheit, mit der sie alle Konventionen und Begrenzungen abstreifte und sich selbstbewusst ihre eigene künstlerische Existenz schuf, verkörpert diese Malerin vielmehr idealtypisch eine Haltung, die durch die Auslobung des Paula Modersohn-Becker Kunstpreises auch in der Gegenwart gefördert und gestärkt werden soll. Der Preis ist daher nicht auf die Förderung von Karrieren oder die Steigerung von Marktchancen ausgerichtet und verzichtet bewusst auf eine Altersbegrenzung. Vielmehr sollen mit dem Preis künstlerische Entwicklungen und Postitionen gefördert werden, die sich durch eine innere Stimmigkeit und Folgerichtigkeit, Konsequenz und Kraft auszeichnen. Alle in diesem Jahr nominierten Künstlerinnen und Künstler erfüllen dieses Kriterium in hohem Maße.«